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„Hai mangiato?“ Zum Diktat italienischer Essenszeiten

Italienische Essenszeiten

Italienisches Essen lieben wir alle. Am meisten aber wahrscheinlich die Italiener selbst.

Essen spielt im Alltagsleben der Italiener eine fundamentale Rolle. Darüber zu reden ebenfalls. Sehr beliebt ist es beispielsweise, während des Essens über Essen zu reden. Nicht zwangsläufig über das, was gerade am Teller liegt, nein, gerne auch über Rezepte im Allgemeinen oder kürzlich genossene kulinarische Highlights. Zutaten und Rezepte werden mit Liebe zum Detail beschrieben und erörtert (wo kaufen, wie zubereiten bzw. wie auf keinen Fall).

 

Besuchern wird wahrscheinlich sehr bald die Frage “Hai mangiato?“, „Hast du schon gegessen?“ auffallen. Die Frage nach der Nahrungsaufnahme zeugt von Anteilnahme am allgemeinen Wohlbefinden und ist daher als Wohlwollen zu interpretieren. Als während meines Volontariats in Neapel eine Kollegin eine Stunde zu spät zum nachmittäglichen Meeting erschien, war meine Chefin alles andere als erfreut. Die besagte Kollegin hatte sich zudem schon so einige Schnitzer geleistet und somit wurde dieses Mal mit ernsthaften Konsequenzen gedroht. Die Stimmung im Büro war entsprechend angespannt – doch plötzlich erklangen die magischen Worte: „Ma hai mangiato?!“ „Aber du hast doch etwas gegessen, oder?!“

Allgemeines Aufatmen machte sich breit –Na also, tutto a posto, alles in Ordnung.

Merke: Mit italienischen Essenszeiten ist nicht zu scherzen. Essenszeiten. sind. einzuhalten. Immer und absolut. Ohne Wenn und Aber. Ich würde sogar so weit gehen, sie als einigendes Element der Gesellschaft zu definieren. In etwa so wie Fußball.

 

Da ich jedoch weder Fußball noch zeitlich geregelter Nahrungsaufnahme etwas abgewinnen kann, habe ich so meine Schwierigkeiten. Ich verfüge weder über geregelte Schlaf-, Wach- oder Arbeitszeiten, wie könnte ich mich jemals an feste Essenszeiten gewöhnen? Undenkbar. Dass ich mich gegen 18 Uhr an den Herd stelle, um mit einer schönen Portion Pasta sowohl mein Mittag- als auch Abendessen zu bestreiten, ist durchaus keine Seltenheit, doch die Blicke meiner Mitbewohnerinnen sprechen jedes Mal Bände. „Du hast heute aber früh Hunger“! „Früh? Das ist mein Mittagessen.“ Big Fail, denn:

Das Mittagessen (il pranzo) wird nicht vor 13 Uhr und keinesfalls nach 14,30 Uhr eingenommen, Abendessen (la cena) ist ab etwa 21 Uhr legitim. Um 18 Uhr gibt’s weder das eine, noch das andere, sprich: Wer um diese Zeit hungrig durch die Straßen irrt, wird dies auch noch für ein paar Stunden bleiben.

 

Survival Tipp: Bei Verabredungen zum Abendessen keinesfalls mit völlig leerem Magen erscheinen! Zumindest im Süden sind Tischreservierungen nicht immer möglich und daher kann es schon mal vorkommen, vor der Pizzeria eine Stunde auf einen Tisch zu warten.

Gerne wird zuvor auch noch ein Aperitivo genommen und bis man dann tatsächlich im Restaurant vor einem gefüllten Teller sitzt, kann’s schon mal ein bißchen später werden – so gegen 22,30 Uhr. Der Klassiker: Letztendlich zu betrunken zu sein, um überhaupt noch den – ursprünglich – sehr großen Hunger zu verspüren. (Auch als Spritz-auf-nüchternen-Magen – Effekt bekannt).

 

Außerdem: Die Hauptmahlzeiten (la cena e il pranzo) folgen einer klaren Struktur und sind in jedem Fall einzunehmen, das gilt auch völlig unabhängig von den Zwischenmahlzeiten (lo spuntino oder la merenda). Als ich mir letztens bei meinem Freund die Frage erlaubte, wie es denn möglich sei, dass er nach einem Sandwich und einem frittieren, mit Nutella gefüllten Krapfen immer noch Hunger habe, wurde ich nur missmutig darauf hingewiesen, dass schließlich noch nicht „richtig“ zu Abend gegessen wurde. Ach so.

Und wer’s glaubt oder nicht: Das einzige, was mir am Projekt gemeinsame Wohnung (wir sind gerade auf Wohnungssuche, Angebote werden dankend angenommen) tatsächlich Sorgen macht, ist die Essensfrage. Denn ich hänge an meinem nicht vorhandenen Essenrhythmus. Schokocroissants zum Abendessen finde ich super, genauso wie Käsebrote zum Frühstück. Am besten um 14 Uhr. Wenn mein Liebster jedoch um 14,30 Uhr noch vergeblich auf seine Ration Pasta zu warten hat, hängt der Haussegen schief. Windschief. Dann kocht halt er? Klar, kein Problem soweit. Nur, dass seine Rezepte meist den Nährwert eines Besuchs bei McDonald’s aufweisen und ich nach zwei Monaten des Zusammenlebens wahrscheinlich neue Jeans kaufen muss. In Größe L. Und ich hänge nicht nur an nicht vorhandenen Essenszeiten, sondern auch an meiner schlanken Linie.

 

Übrigens bleibt nicht mal das Frühstück (la colazione) von der italienischen Reglementierungswut verschont. Akzeptiert wird: Caffè oder Cappuccino plus Zuckriges in Form von Keksen (biscotti) oder Cornetti plus Nutella. Zuckerfrei kann maximal der Caffè sein, an sowas wie Käse hingegen ist nicht mal im Entferntesten zu denken. Oder Eier. EIER? Zum Frühstück? Fast so schlimm wie Cappuccino nach 11 Uhr. Denn das kommt einer Todsünde gleich. Für mein Käsebrot ist’s also in jedem Fall düster bestellt. Na denn: Buon Appetito!

 

Was ich fünf Jahren in Italien noch so erlebt habe? Das könnt ihr hier nachlesen: 

 

Inspirationen für den Italien-Urlaub gefällig? Hier gibt’s meine City Guides: 

 

 

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22 Comment

  1. Reply
    Tanja
    Oktober 8, 2015 at 3:03 pm

    Grande Karin! Quant è vero! Complimenti per il blog!!!

    1. Reply
      Karin
      Oktober 8, 2015 at 3:54 pm

      Grazie Tanja! Ich hoffe natürlich in dir eine Stammleserin zu gewinnen! 🙂 Baciii

      1. Reply
        Stefania
        Oktober 14, 2015 at 10:27 pm

        Hallo Karin! ich müsste so lachen! ich bin Italienerin und wohne in Wien. Ich habe 5 Jahren in Neapel gelebt. Ich kann nicht um 18 Abendessen und kann nicht zum Frühstuck Käse essen ;)) ! Dein BLog finde ich super! Brava!

        1. Reply
          Karin
          Oktober 15, 2015 at 11:25 am

          Liebe Stefania,

          freut mich! 🙂 Ja, die Essgewohnheiten… Ich liebe diese „kleinen“ kulturellen Unterschiede und hab immer total viel Spaß damit 🙂 un’abbraccio (bin auch gerade in Wien 🙂 )

  2. […] missen. Und letztendlich ermöglichte mir das Volontariat im Ausland nicht nur, komplett in eine andere Mentalität einzutauchen, sondern verpasste mir auch einen willkommenen Schubs in Richtung Karriereplanung. Mit […]

  3. […] muss eben auch eine gesalzene Rechnung erwarten. In den restlichen Stadtvierteln gibt es jedoch wie überall in Italien eine wirklich große Auswahl sehr guter und einfacher Trattorien, die tolles Essen zu vernünftigen […]

  4. […] wie Tortellini, Mortadella, Lasagne und Tagliatelle sind hier beheimatet und ich kann euch sagen: Wer hier fastet, dem ist nicht mehr zu helfen. Ach ja, rot ist Bologna nicht nur aufgrund der malerischen […]

  5. […] Du hast Lust, mal wieder so richtig schön zu kochen? Prima! Serviere deine Kreation am besten Sonntags um 12 Uhr mittags. […]

  6. Reply
    Geertje
    Januar 15, 2017 at 11:49 pm

    Hui das klingt ja fröhlich und spritzig, Hier schau ich öfter mal rein und nehme mir mal vor die Wssgewohnheiten der Nordländer näher zu erforschen. Gruß Geertje

    1. Reply
      Karin
      Januar 17, 2017 at 10:34 pm

      Hallo Geertje,
      mach das doch, das würde mich auch interessieren 🙂

      LG

  7. Reply
    Kuno
    Januar 17, 2017 at 2:18 am

    Super locker und mit Humor geschrieben. Gefällt mir sehr gut! 🙂 Die Italiener sind doch ein eigensinniges Völkchen, aber das Essen ist grandios. Ich könnte den ganzen Tag damit verbringen 😉

    1. Reply
      Karin
      Januar 17, 2017 at 10:34 pm

      Danke Kuno!
      Aber bitte nicht vergessen, auf die Zeiten der Nahrungsaufnahme zu achten 😉
      LG

  8. Reply
    Wolfgang
    Januar 18, 2017 at 7:47 am

    Ach ja, die Italiener und ihr Essen. Ich liebe beides!

    Gestern habe ich es gerade noch so geschafft, mein Pranzo vor 14:30 einzunehmen 😉 .

  9. Reply
    Anita
    Januar 19, 2017 at 7:50 pm

    Jaja… das kenne ich. Ich hab mal in jungen Jahren einen Road Trip nach Süditalien gemacht und dort Bekannte besucht, bei denen ich ein paar Tage geblieben bin. In dieser Zeit hat sich alles nur ums Essen gedreht. Ich musste sogar pünktlich zu Mittag vom Strand nach Hause gehen (was ich sonst NIE mache), um beim Mittagstisch anwesend zu sein. Und danach musste ich ein Mittagsschläfchen machen, um beim Caffè freddo am Nachmittag wieder fit zu sein 🙂 Aber schön wars…. LG, Anita

  10. Reply
    Anja
    Januar 20, 2017 at 3:57 pm

    ich sehe schon, mein Traum irgendwann einmal in Italien zu leben wird an meinen Essgewohnheiten scheitern. Toller Artikel.
    LG Anja

  11. Reply
    Susanne
    Januar 21, 2017 at 7:57 am

    Hallo Karin,
    da bin ich ja froh, dass noch jemand damit Probleme hat. Wir sind auch unkonventionelle Esser, was die Uhrzeiten angeht. Das hat uns schon bei so mancher Reise zur Verzweiflung gebacht, wenn wir um 17 Uhr Hunger bekommen, die Restaurants aber erst nach 18 Uhr öffnen. Ich finde essen, wenn man Hunger hat und nicht weil es die Uhr sagt viel besser und gesünder. Da bleibt uns zur „Queresser“ zu bleiben und selber zu kochen 😉

  12. Reply
    Nina
    Januar 22, 2017 at 2:10 pm

    Hihi, danke für den Artikel.Im Juni gehts zum ersten Mal für uns nach Italien. Da weiß ich ja schon, was auf uns mit dem Essen bzw. den Essenszeiten zukommt. Lg!

  13. Reply
    Daniela
    Januar 22, 2017 at 4:02 pm

    Ach ja, mit geregelten Essenszeiten hätte ich auch meine Probleme. Ich könnte wohl nie in Italien leben. Dabei mag ich das Land und das Essen an sich schon sehr. Da wird es wohl den einen oder anderen Kompromiss bei euch geben. 😉 Bin gespannt, wie es weitergeht. 🙂

    LG Daniela

  14. Reply
    Stefanie | Comfortzoneless
    Januar 23, 2017 at 5:50 pm

    Hallo Karin,
    oh wow, ich wusste zwar, dass bei Italienern das Abendessen viel später auf den Tisch kommt, als es in unseren Breiten gewöhnlich ist. Aber ich habe nicht gewusst, dass es so strenge Zeiten fürs Essen gibt.
    Die Art und Weise, wie du es beschreibst und immer wieder eigene Anekdoten einfließen lässt, finde ich sehr gut. Der Artikel liest sich locker und leicht. Gefällt mir sehr!

    Schöne Grüße,
    Stefanie

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